Anja Hauptmann

Autorin

Songs und Lyrics von Rudyard Kippling, > z.B. „IF“

Interview mit > Hildegard Knef

Gedicht > Das Leben ist schön

DAS LEBEN IST SCHÖN (Für Hank)

Er lacht der alte Mann
dann stößt er mit sich selber auf das Heute an
In seinem Glas funkelt der Wein
Ein Augenblick friert in der Sonne ein

DAS LEBEN IST SCHÖN – sagt Er
Der Wind schreibt Wort für Wort auf’s Meer


Er tanzt der alte Mann
Ein Derwisch der sich wirbelnd um sein Leben dreht
Sein weißes Haar leuchtet wie Licht
Und Träume laufen über sein Gesicht

DAS LEBEN IST SCHÖN – sagt ER
Der Wind schreibt Wort für Wort auf’s Meer


Er weint der alte Mann
Vielleicht sind es ja Freudentränen die er weint
Vielleicht ein Abschied den er denkt
Oder die Wahrheit die er grad erkennt

DAS LEBEN IST SCHÖN– sagt ER
Der Wind schreibt Wort für Wort auf’s Meer


Er singt der alte Mann
Und seine Seele singt sich frei so laut sie kann
Der Sturm wacht auf von ihrem Lied
und nimmt es zu den Wolken mit

DAS LEBEN IST SCHÖN – singt ER
Der Wind schreibt Wort für Wort auf’s Meer


Er schweigt der Alte Mann
aus seinem Herzen weicht die Zeit und dann
wird sein Gesicht auf einmal jung
Das Stundenglas ist ohne Sprung

DAS LEBEN WAR SCHÖN - schweigt ER
Der Wind schreibt Wort für Wort aufs Meer

Wenn
Übersetzung von Anja Hauptmann

Wenn du den Kopf behältst und alle anderen
verlieren ihn und sagen: Du bist schuld!
Wenn keiner dir mehr glaubt, nur du vertraust dir
und du erträgst ihr Misstrauen in Geduld

Und wenn du warten kannst und wirst nicht müde
und die dich hassen dennoch weiter liebst,
die dich belügen strafst du nicht mit Lüge
und dich trotz Weisheit nicht zu weise gibst

Wenn du dich nicht verlierst in deinen Träumen
und du nicht ziellos wirst in deinem Geist
wenn du Triumph und Niederlage hinnimmst,
beide Betrüger gleich willkommen heißt

Wenn du die Worte die du mal gesprochen
aus Narrenmäulern umgedreht vernimmst
und siehst dein Lebenswerk vor dir zerbrochen
und niederkniest, wenn du es neu beginnst

Setzt du deinen Gewinn auf eine Karte
und bist nicht traurig, wenn du ihn verlierst
und du beginnst noch einmal ganz von vorne
und sagst kein Wort was du dabei riskierst

Wenn du dein Herz bezwingst und alle Sinne
nur das zu tun was du von dir verlangst
auch wenn du glaubst es gibt nicht mehr da drinnen
außer dem Willen der dir sagt: Du kannst!

Wenn dich die Menge liebt und du noch du bleibst
wenn du den König und den Bettler ehrst
wenn dich nicht Feind noch Freund verletzen können
und du die Hilfe niemanden verwehrst

Wenn du in unverzeihlicher Minute
Sechzig Sekunden lang verzeihen kennst:
Dein ist die Welt - und alles was darin ist
Und was noch mehr ist - dann bist du ein Mensch!

Rudyard Kipling "If"
Musik: Suzanne Doucet

IF you can keep your head when all about you
Are losing theirs and blaming it on you,
If you can trust yourself when all men doubt you,
But make allowance for their doubting too;

If you can wait and not be tired by waiting,
Or being lied about, don't deal in lies,
Or being hated, don't give way to hating,
And yet don't look too good, nor talk too wise:

If you can dream - and not make dreams your master;
If you can think - and not make thoughts your aim;
If you can meet with Triumph and Disaster
And treat those two impostors just the same;

If you can bear to hear the truth you've spoken
Twisted by knaves to make a trap for fools,
Or watch the things you gave your life to, broken,
And stoop and build 'em up with worn-out tools:

If you can make one heap of all your winnings
And risk it on one turn of pitch-and-toss,
And lose, and start again at your beginnings
And never breathe a word about your loss;

If you can force your heart and nerve and sinew
To serve your turn long after they are gone,
And so hold on when there is nothing in you
Except the Will which says to them: 'Hold on!'

If you can talk with crowds and keep your virtue,
' Or walk with Kings - nor lose the common touch,
if neither foes nor loving friends can hurt you,
If all men count with you, but none too much;

If you can fill the unforgiving minute
With sixty seconds' worth of distance run,
Yours is the Earth and everything that's in it,
And - which is more - you'll be a Man, my son!

HILDEGARD KNEF - DAS INTERVIEW

WIR MÜSSEN DEN MUT ZUM ABGRUND HABEN - WÄHREND WIR DEN REGENBOGEN SUCHEN

Von ANJA HAUPTMANN  - C / FEBRUAR 2012

Das alte Band rauscht und knackt. Und die Stimme von Hildegard Knef klingt leise, brüchig und scheint von weit, weit herzukommen...
Ein Gespräch mit Hilde aus dem Jenseits? Warum nicht? Denn warum sonst haben sich die alten Mini-Kassetten plötzlich wiedergefunden? Fünfundzwanzig Jahre waren sie abgetaucht, in meinem Beautykoffer von 1987. Mehrfach durchsucht, sind sie schließlich im November 2011 wieder aufgetaucht. Zwischen Innenfutter und Kofferboden gerutscht, lagen sie da, versteckt, wie eine Droge.

Droge Hilde!

Ihre Stimme klingt vertraut, kratzweich, mit langen Denkpausen. Ich muss den alten Kassenrecorder dicht ans Ohr drücken und oft den Atem anhalten, um sie zu verstehen. Und oft verschlägt es mir den Atem, wenn sie sagt, was sie sagt und wie sie’s sagt.  Druckreif formuliert. Im Jetzt und Hier,  so ganz diesseits vom Jenseits.

1987, einer jener etwas herbstlich - kühlen Anfang Dezemberabende in L.A. :
Ihrem Haus, in dem sie mit ihrem Mann, Paul von Schell, hoch in den Hills lebt, liegt die glitzernde, leuchtende City Of Angels zu Füßen.
Und ich liege Hilde zu Füßen. Und Hilde liegt im Bett. Sie fühlt sich nicht besonders, schwächelt irgendwie, will aber auch nicht schlafen. Vor allem - nicht alleine sein. Nicht eine Minute. Paul, ihr Mann Paul, fährt weg, holt irgendetwas zu essen. „Und WIR machen jetzt das Gespräch!“ bellt sie und zündet sich eine an.

An ihrem Bettende sitzend, reibe ich mir - unauffällig - wie ich denke, die kalten Füße.
Sie sieht’s, hebt fragend die linke Augenbraue und mit einem Bein die Bettdecke leicht an: „Kalte Füße?“ Ich nicke. „ ’rin! “ grinst sie. Und dankbar stecke ich meine Eisfüße vom Stuhl aus unter ihr warmes Plumeau. Wir mögen uns irgendwie.

Nicht von Anfang an, nicht sofort. Als wir uns kennen lernten, war da zunächst so ein nachtaktiver Pantherblick, dem ich standhalten musste und konnte. Das war im Winter 1986 in Berlin, als Martin Biallas, ihr damaliger Manager, uns im Hotel Kempinski einander vorstellte: „Hilde, hier ist die junge Dame, die uns bei den Ausstellungen deiner Bilder behilflich sein will, das ist die Anja Hauptmann, ihr Großvater war...“

„Gerhart Hauptmann, ich weiß, Martin!“ brummelte sie genervt und knipste ihr Verschwörungsgrinsen an! Und das war’s! Ich folgte ihr willenlos nach L.A. Aus Bewunderung und Verehrung für diese herrlich unangepasste Künstlerin, mutierte ich von der PR-Assistentin über die Kammerzofe zu einer „Komm-her-geh-weg-bleib-hier–Freundin“, die täglich ein paar Stunden um sie war. Sonst eher nicht so mein Ding. Aber Hildegard Knef ein Stück des Wegs begleiten und nahe sein zu dürfen,  war ein Erlebnis der besonderen Art und ganz und gar „mein Ding“, eben eine der verrücktesten, außergewöhnlichsten  Begegnungen meines Lebens.

Nach kurzer Zeit grinsten wir oft über denselben Mist. Flennten auch mal gemeinsam vor dem Fernseher. Und irgendwo dazwischen sagte sie irgendwann: „Du schreibst doch! Warum machst du keine Geschichte über mich. Nutz mich doch aus... denn wer hatte mich je so lange so „nackt“ wie du jetzt?“ und dann dröhnte es los, dieses Hilde – Lachen, das man nie mehr vergisst. „Na denn...“

Na denn? Nach fünf Wochen gar nicht so einfach.

Ihr Ex-Ehemann David Cameron, „Tonio“, hatte gerade seine Memoiren veröffentlicht, „Auf die Füße gefallen“. Hilde kannte das Buch noch nicht, oder tat zumindest so.
Egal, ich lese ihr eine Passage daraus vor. Betroffenes Schweigen, tiefer Zug aus der Zigarette... Raureif - Blick ins Gestern.

David Camerons Darstellung eurer Ehe, wie siehst du sie?

Ich bin darauf eigentlich nicht gefasst. Was heißt hier eigentlich?! Ich war  überhaupt nicht darauf gefasst, was er da über unsere Ehe schreibt. Siebzehn Jahre zwischen zwei Menschen, kann man nicht in relativ wenigen Sätzen beschreiben. Was er dort sehr lose über Leidenschaft,  gemeinsame Arbeit, die abkühlt, etc. sagt, habe ich nie so empfunden. Leidenschaft ist eh ein negatives Wort, das mit „Leid“ beginnt…was immer er darunter versteht, man kann nicht sagen, die Leidenschaft kühlte ab, während die Arbeit zunahm…diese psychische, physische ungeheure Nähe, die dadurch entstanden war, erzeugte eine unglaubliche Kraft, eine Kreativität – ob er dabei die Hebamme  oder der Erzeuger war - weiß ich nicht. Vielleicht hätte ich auch ohne ihn angefangen zu schreiben…

 Trotzdem war diese Zeit wohl deine kreativste?

Naja – nein… ich war irgendwie nicht frei, weil er durch seine kühle Art, das Geschriebene bis ins feinste Detail zu bemäkeln und zu kritisieren, mich zu einer Art Dauerverkrampftheit geführt hat. So ist mir der Titel zu meinem Buch mehr oder weniger aufgezwungen worden, ich wollte es „Schuld der Schuldlosen“ nennen und nicht „Der geschenkte Gaul“. Dass zwei Menschen, an der Verschiedenheit ihrer Entwicklungen, die sie gemeinsam begonnen haben, aber deren Talente sich dann, wie falsch gelegte Schienen, trennen, scheitern müssen, weil unerträgliche Spannungen entstehen, liegt nahe.

Es war also ein Fehler seinem Druck, seiner Regie zu folgen?

Nein, ich habe ihm total vertraut, nur wir müssen die Dinge auch mal los lassen, laufen lassen, sprühen lassen…Wie die große englische Schauspielerin Sybil Fondyke sagte: Wer nicht den Mut hat, sich zum Arsch zu machen, während einer Probe, hat in unserm Beruf nichts zu suchen… Wir müssen den Mut haben zu den größten Fehlern, um das Größte, was wir in uns haben, tanzen zu lassen …wir müssen den Mut zum Abgrund haben, während wir den Regenbogen suchen…

War Tonio dein Du n oder dein Abgrund?

Beides! Wir sind aufeinander zugestürzt, wie zwei einsame Tiere…und unsere Ehe war wie ein Zusammenstoß zweier Schnellzüge…(lacht schallend)die danach versuchten als ein Zug weiterzufahren, wobei dann doch immer einer auf ein anderes Gleis geriet und schon brach die Katastrophe aus… ja, nee, mein DU gefunden…Quatsch!

Ich habe einmal einen Satz zu ihm gesagt, den ich mir heute noch nicht verzeihe: „ Ich apportiere meine Arbeiten, wie ein Hund den Knochen.“ Und daran lag es, dass er diese Form meiner Liebe nicht als Liebe gesehen hat. Er forderte alles, aber er wollte nicht wahr haben, dass man nicht alles gleichzeitig haben konnte. Es fehlte ihm dieser Tropfen Demut…den ich auch nicht immer habe, es gab Zeiten, in denen ich „allesfresserisch“ war, d.h. nicht wie ein Schneepflug über andere Menschen her rasend, sondern das Meiste von mir fordernd…wie Carlo Schmidt sagte: Du forderst von dir alles und von andern  so gut wie nüscht…(sie hält inne) – No Sir, das stimmt auch nicht ganz – ich fordere anderen sehr wohl etwas ab, ganz schön viel sogar und sei es auf eine manchmal sprachlose Weise…

Die auch das Ende eurer Liebe war?

Ja, die Katastrophe unserer Beziehung begann, als wir nicht mehr sprechen konnten, überhaupt nicht mehr. Weder über die Verschiebung unsres gemeinsamen und so von allen andern abgeschirmten Lebens, das wir als Einheit, mit dem Rücken zur Wand und mit dem Florett, wenn es sein musste, mit dem Schwert, verteidigten, um vor allem unsern künstlerischen Weg weiter  gehen zu können. Nichts war geplant…

Was habt ihr nicht geplant? Nicht besprochen?

Einen Mittag aßen wir grüne Bohnen und ich schaute ihn an und sagte: Ich muss mich stellen! Er fragte: Wie-was-warum? Ich kann nicht nur Schallplatten machen und meine Texte singen, ich muss auf die Bühne. Er sagte: Du bist verrückt. Ich: Was ist daran neu? Aber ich muss mich stellen. Und damit begann meine erste Chanson-Tournee. (Sie zündet  sich eine Zigarette an) Bum – so kamen die Sachen eben plötzlich aus mir raus.

Vielleicht wollte er ja genau das provozieren.

Wir waren maßlos – jeder auf seine Weise, er in seinem Anspruch an mich, ich in meinem Nichtbegreifenkönnen, dass ihn andere künstlerische Dinge auch oder mehr interessieren könnten, als unsere gemeinsame Arbeit, für die wir so gekämpft hatten. Zum Teil fiel uns ja alles in den Schoß, aber die Schwangerschaft und die Geburt vieler Dinge, mussten wir allein durchstehen. Unsre Leidenschaft - wie er es nennt - hat dadurch andere Formen angenommen, sagen wir … weniger physische. Aber das hatte wohl auch damit zu tun, dass eine Frau, die monatelang auf Tournee ist, mit einem Theaterstück, das alles abverlangt, nicht dieselbe Kraft mitbringen kann...in ein Liebesleben. Und da passierten viele, viele Verschiebungen, die schweigend übergangen wurden.

Wie hat David versucht diese Krisen zu meistern? (lange Denkpause)

Meine verzweifelten Bemühungen zu sprechen - tränenüberströmte Bitten, mir zuzuhören, wurden von ihm mit einem Aufstehen...und leise die Tür hinter sich zuziehen, beantwortet…ich weiß nicht, aber das ist so, als wenn dich jemand erschlägt…und ich fühlte mich immer mehr blutig geschlagen, bis ich ganz stumm wurde und stumpf. Und das war das Entsetzliche. Der Engländer in ihm hat vieles in seinem Leben zerstört. Wenn er es heute begreift ist es nicht zu spät.
Gab es keinen Ausweg- keinen gemeinsamen Versuch?

Es war eine große Beziehung, die dann zu einer horrenden Grausamkeit führte, die mich in eine Einsamkeit drängte, in der ich weder Wort noch Blick noch sonst was fand, sondern mich dann nur noch darauf besinnen konnte, Christina und mich zu retten, vor dem offensichtlichen, schweigenden Wahnsinn der sich ausbreitete.

Hast du verziehen?

Was heißt verziehen? Wenn man andern nicht verzeihen kann, kann man sich selbst auch nicht verzeihen…und dann kann man nicht mehr leben. Obwohl, stimmt auch wieder nicht ganz. Andern hab ich immer verziehen und mir selbst nur sehr schwer…

Deiner Mutter, die ja ohne Zärtlichkeit und Nähe mit Dir umgegangen ist, hast Du ihr auch verziehen?

Schau, meine Eltern waren nur drei Jahre verheiratet, ich war ein halbes Jahr, als mein Vater an Syphilis starb, und er war die einzige, große Liebe ihres Lebens, sie ist nie, nie über seinen Tod hinweg gekommen. Deshalb hat sie nicht nur eine Mauer um sich aufgebaut, sondern eine Art stummes Minenfeld. Auch gegen mich, da ich, je älter ich wurde, mehr und mehr meinem Vater glich, wie sie sagte. Ich lachte los, wie er, hatte den Blick,  die Bewegungen, den Humor, den Jähzorn...ich war also, ohne es zu wollen, jemand, der täglich eine sehr schmerzhafte Narbe in ihr neu aufriss. Sie selbst war ja von meiner Großmutter unbarmherzig preußisch erzogen worden, also verfuhr sie mit mir nicht anders. Verziehen habe ich ihr, als sie zu mir nach New York zog, wo wir noch zwei Jahre zusammen lebten und alles Preußische von ihr abfiel, wo sie plötzlich Freunde hatte, mehr als ich...  als sie mich einmal auf einem beruflichen Trip nach Europa begleitete und wir mit dem Schiff aus dem Hafen New Yorks ausliefen – dieses einmalige Erlebnis – hatte sie mehr Freunde, die ihr heulend  nachwinkten, als ich. Und da - da liefen ihr zum ersten Mal hemmungslos die Tränen runter –

Bist du ein guter Freund?

Ich habe Freunde auf der ganzen Welt, allein durch meine Arbeit...aber wenn ich arbeite gibt es nur einen Freund für mich: die Arbeit. Eine Anakonda, die mich dann schluckt und der ich zu dienen habe. Du kannst deine Begabungen nicht  im Abendtäschchen mit dir rumtragen und ab und zu rausholen – du musst ihnen dienen. Du musst besessen sein. Und besessen kannst du nur sein, wenn du Besessene um dich hast. Und davon gibt es heute nicht mehr viele, deshalb ist dieser Beruf so schwer geworden. Aber wenn...dann gibt es nichts wichtigeres - und dann bin ich auch kein guter Freund.
Und wenn wegen so einer „Besessenheitsphase“ deine Beziehung ernsthaft kriseln würde, könntest du dann sagen: Sorry Schatz, aber lass uns später reden!

Oh Gott, nein, könnt ich nicht, ich wär ohne Paul verloren... mach das Ding mal aus!!

sagt sie leise und Tränen laufen plötzlich über ihr Gesicht. Ich drücke die Stopptaste und begreife erst jetzt, was ich mit dieser flapsigen Frage angerichtet habe. Ich entschuldige mich und schlage vor, das Gespräch hier abzubrechen, um sie nicht zu überfordern. Nein, gehen soll ich auf keinen Fall, aber bei dieser Frage gefälligst nicht weiter bohren, sie hätte sich auch gleich wieder im Griff! Warum hat diese Frage sie so aus der Fassung gebracht. Erinnerung an ein ähnliches Szenario,  Angst vor schon einmal durchlebter Einsamkeit, das Wissen um ihre gesundheitliche Fragilität, Panik vor dem Alter? Dann rückt sie sich zurecht, setzt sich aufrecht in die Kissen:

So, mach mir mal’n Drink, bitte, nur mit Eis! Es gibt zwei Menschen, die vor allem in der Welt Vorrang haben, das sind meine Tochter Christina und Paul...

Und dann erzählt sie von Christina und wie der Pfarrer bei ihrer Einschulung zu den kleinen Kindern in der Kirche sagte: Und heute, liebe Kinder, beginnt für Euch der Ernst des Lebens. Das ist aber halb so schlimm, denn Eure Eltern sind sicher auch sehr froh, Euch mal für ein paar Stunden los zu sein und ihre Ruhe zu haben.

„Bei diesen heiligen Worten erhob sich Hildegard Knef aus der Kirchenbank, stapfte laut hallenden Schrittes durch das Kirchenschiff und schlug die Kirchentür mit wütendem Knall hinter sich zu, dass die Orgel nur so schepperte! Dieser Idiot von Pfarrer hat den Kindern Angst vorm Leben gepredigt und gleichzeitig die Liebe der Eltern in Frage gestellt, sie zu Opfern gestempelt, mit denen man Mitleid haben muss. Ich lehne Mitleid total ab und habe Christina später gesagt, wenn dir was gänzlich „contre coeur“ geht im Leben,  steh auf und schrei, oder geh!“

Was hat Christinas Vater dazu gesagt?

Dem war das furchtbar peinlich und er blieb feige sitzen...wie immer bei solchen Situationen. Nur keine Konfrontation...

Du trägst ein Foto deines Vaters stets bei Dir, in welchen Situationen betrachtest Du es?

Selten, weil er um mich ist, das spüre ich, immer und überall. Er war auch um mich, als ich mit sechs Jahren eine  Art Selbstmordversuch unternahm.

Wo, in deinen Büchern, steht das...?

Nirgends. Hab ich nie geschrieben, warum weiß ich selber nicht. Der Grund für meine Tat war ein entsetzlicher Familienkrach zwischen meinem Stiefvater, den ich sogar ganz gern hatte, meiner Mutter  und meinem Großvater, den ich über alles liebte.  Er wurde des Hauses verwiesen, mit den Worten, niemand wolle ihn hier je wiedersehen. Ich würde ihn also nie wieder sehen. Meine Eltern mussten am selben Abend nach dem Streit weg und ließen mich eine Zeit lang alleine. Da nahm ich eine Rasierklinge und begann meine Füße zu zerschneiden ...um die Knöchel, unter den Fußsohlen, zwischen den Zehen,  ich ritzte Adern auf und sah zu, wie das Blut sprudelte. Weil so viel Blut floss, hab ich mir dicke Wollsocken übergezogen und ging so ins Bett, auch weil mir kalt wurde. Komischerweise hatte ich keinerlei Schmerzen, nur Angst vor Prügel, wenn meine Mutter nachhause käme...Prügel bekam ich nicht, aber die Sache wurde herunter gespielt, bis die Lüge Wahrheit wurde – „das Kind ist  irgendwo draufgetreten“ - und am nächsten Tag musste ich mit dick verbundenen Füßen zur Schule gehen.

Der Selbstmord war, gottlob, misslungen...vielleicht, weil dein Schutzengel um dich war, dein Dauerschutzengel? Den du ja oft in Deinem Leben strapaziert hast...

Bitte sage so was nicht, bitte, ich flehe dich an, sag das nicht...das sind Dinge, die zu tiefst  mit mir und nur mit mir zu tun haben, die ich so zögernd, mit solcher Behutsamkeit auch nur denke, wenn überhaupt...lass es uns nicht zerreden, warum müssen alle immer alles zerreden, es ist doch sowieso schon das Meiste kaputt.

Wieder hatte ich sie mit meiner Frage aus der Fassung gebracht, dachte ich, da kam unvermittelt:
Apropos kaputt, kennst Du den Film: The Colour Of Money? Darin wird doch bitte glasklar erkennbar, was die Banken, die Börsen, die Politiker und der Neid mit uns machen. Eines Tages wird sich all das bitter rächen und es wird eine Weltkrise geben, in die alle Kontinente und Länder involviert sein werden, eine Riesenpleite... eine Weltpleite!

Diese unheimliche Prophezeiung hab ich mir ein paar mal angehört...denn inzwischen ist sie eingetreten.

Geld! Dein Verhältnis zu Geld?

Keins…war mir nie wichtig. Mein Gott, wenn ich denke, dass ich als junge Schauspielerin unter einem Regisseur wie Boleslav Barlog spielen durfte, das hätte ich auch gemacht ohne einen Pfennig Gage. Geld…? Mir ging‘s immer nur um die Arbeit – oder darum andere zu unterstützen. Ohne dass ich jetzt das Gefühl vermitteln will, zu diesen wunderbaren Menschen zu gehören, die nie an sich selber denken und vor lauter Demut keinen Schlaf finden. Nein, aber unter einem großen Regisseur eine schöne Rolle zu spielen, das war für mich ein Geschenk, da hätte ich noch Geld mitgebracht, wenn ich‘s gehabt hätte.

Frage: Du hattest oft wenig davon, obwohl Du Millionen verdient hast. Dein Händchen für Leute die Dein Geld „verwaltet“ haben ist ja legendär…

Oh ja, einer lebt sicher sehr glücklich und sorglos in Venezuela mit all meinen Filmgeldern und andere haben auch dafür gesorgt, dass ich abgeräumt wurde von oben bis unten…weißt du, das Gemeine ist ja, weder im Rekreativen noch im Kreativen also, wenn du schreibst z.B., kannst du ein Haushaltsbuch neben dir liegen haben oder deine Kontoauszüge durchsehen…

Würdest du denn wissen, wie du ein solches Buch führst, oder wie du einen Kontoauszug richtig liest? Du hattest immer das Unglück, dass deine Manager das besser konnten…(sie fällt mir total genervt ins Wort)

…das ist kein Unglück, Liebling, das ist kein Unglück. Wenn du einigermaßen intelligent bist, musst du als Künstler um deine Naivität kämpfen, sonst kannst du nichts mehr bieten. Wenn Menschen denen du vertraut hast, dich plötzlich ausnehmen, abräumen, aufessen, wie’n  alten Truthahn zur Weihnachtszeit und du deshalb misstrauisch wirst und deine Naivität verlierst, die der Boden deiner Kreativität ist, hast du keine Kraft und Lust mehr, irgendetwas zu spielen, zu schreiben, zu sagen, zu singen, zu malen , zu sonst wat…dann kannste ‘n  dufter Bankier sein oder ‘ne wichtige Chefsekretärin, aber keen Künstler. Du bist angewiesen auf andere, einfach weil deine Konzentration auch ganz woanders hinläuft.  Und du kannst nur beten, dass auch mal wieder ein guter Mensch dabei ist, als Ersatz  für all die, die dir eins übergebraten haben…du musst nur aufpassen, nicht zynisch zu werden. Zynismus ist Selbstaufgabe, ist ein hochnäsiges Abdanken. Du entlässt dich selber.

Welchen Film hast du gern gespielt und welchen mochtest du so  richtig gar nicht?

Sehr gern habe  ich „Jeder stirbt für sich allein“ gespielt, vor allem weil ich einen wunderbaren Partner hatte, Karl Raddatz, mit dem eine telepathische Beziehung, eine Osmose stattfand, wie ich sie nie wieder erlebt habe. Es war eine Gnade mit ihm zu spielen und ich war sehr stolz, dass er, der als überaus kritisch galt,  in einem Spiegel-Interview exakt dasselbe über mich sagte...Schrecklich dagegen fand ich „Die Sünderin“, da gab’s ja diesen ans Groteske grenzenden, allseits  bekannten Skandal, wegen der blöden Nacktszene, und der ähnlichen Thematik zu einem andern...ach, ein blöder Film, ich habe ihn gehasst...vergiss es.

Paul kommt zurück und bringt Sushi zum Abendessen mit. Der Tisch wird gedeckt, wir essen, trinken und lachen – ich habe fast geheult, als diese Szene aus meinem  Kassettenrecorder kroch, als säße man da gerade um den Tisch herum, am Kamin – und aus unserm Interview wird, nicht zuletzt durch Paul, der lieber englisch spricht,  ein „ Patchworktalk“ aus englisch-deutsch-berlinerisch: Denglerisch.

Hilde macht ihre berühmten Themensprünge von Einstein bis  Arbeitsamt, Gedankenspagate von Shakespeare bis  DDR und Klimmzüge zurück in den 2. Weltkrieg,  ins besetzte Berlin. Sie klettert als Soldat verkleidet über Leichenberge und flieht vor den taghellen Christbäumen, die vom nachtschwarzen Himmel fallen und „den Bomberpiloten die besten Todeszonen ausleuchten, damit sie ihre mörderische Fracht mit todsicherer Trefferquote abwerfen können!“  
Und dass keiner etwas zu wissen schien von KZs, oder wenn, dann mussten die, die  was wussten und zu viel gesehen hatten, wie Hildes Schauspielerkollegen Werner Fink und Peter van Eyck, unterschreiben, dass sie nichts wussten und nichts gesehen hatten, damit sie ins Ausland abhauen durften. Wenn sie nicht unterschrieben, durften sie gerne in Deutschland bleiben...

„Und dann das Wirtschaftswunder, das kam ja auch wie ein Krieg über uns!“ Und die Ufa mit Frau Ilse Kubaschewsky, die Millionen verdiente mit Filmen niedrigsten Niveaus, dabei hätte man mit etwas besseren Filmen ein so dankbares Publikum haben können...

Ihre eigene Karriereleiter fing sie stets auf, eh sie umfiel, legte sie quer über den großen Teich, krabbelte rüber in die USA und wieder zurück nach Deutschland. Stieg auf in den Chanson-Himmel, aus dem sie für  sich und uns  für immer  und ewig „Rote Rosen“ regnen lässt.
Sie schmorte in  der einsamen Hölle des Schreibens, bis „Der geschenkte Gaul“ aus ihrem Stall um die Welt  galoppierte und in Amerika sogar Schullektüre wurde. Umgefallen sind weder Hilde noch die Leiter je wirklich.

Auch nicht, als sie schwer krebskrank, sich wieder alles von der Seele schrieb: „Das Urteil“, ein Buch über ihre Krankheit, Ärzte und Krankenhäuser, mit dem sie wieder die Schlagzeilen der Weltpresse und die Bestsellerlisten beherrschte. Mit dem sie wieder einen Hit landete.
Und als sie dann zur Abwechslung mal pleite war, begann sie eben zu malen. Auf Ausstellungen in LA, dann in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauften sich ihre Bilder zu Höchstpreisen. Sie war immer ihr eigenes Netz, in das sie fiel und das sie auffing. Nichts und niemand konnte Hildegard Knef kleinkriegen, weil sie einfach unschlagbar groß war. An Phantasie und Können, an Herz und Seele, an Mut und Humor!

Spontan, temperamentvoll, intuitiv, jähzornig, laut, egoistisch, vielseitig, schlagfertig, verschwenderisch, robust, extrovertiert, – und von allem das Gegenteil...

WIR MÜSSEN DEN MUT ZUM ABGRUND HABEN - WÄHREND WIR DEN REGENBOGEN SUCHEN!

Vor zehn Jahren, am 1. Februar 2002, ist sie durch den Regenbogen von uns gegangen.

Der Durchgeknallte, der während der Trauerfeier in der Gedächtniskirche zu Berlin, die bewegende  Rede des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, mit Pöbeleien gegen die schwule Szene störte und verstörte, war glaube ich, der Einzige, der Glück hatte, dass Hilde tot war...